"Projekt MX-1226" — höher und schneller
wie noch nie
Dieses wegweisende Forschungsprogramm läßt sich in seinen
Anfängen bis zum 24. Juni 1952 zurückverfolgen, als die NACA
eine Resolution verabschiedete, in der sie "...ein Programm vorantreiben
soll, das sich mit bemannten und unbemannten Flügen in der oberen
Stratosphäre zwischen 20km und 80km befaßt, und zwar bei
Geschwindigkeiten zwischen Mach 4 und Mach 10." Dies geschah also
bereits zu einer Zeit, als zwar das X-1-Programm schon abgeschlossen,
die Erprobungsprogramme der X-1-Flugzeuge der zweiten Generation (X-1A
- X-1E) gerade begonnen oder sich das X-2-Programm (Dritte Generation)
noch in der Planungs- und Entwicklungsphase befand. Durchgeführt
werden sollte das X-15-Programm auf der High-Speed Flight Research Station
(HSFRS, heute Dryden Flight Research Center) des NACA, beheimatet auf
der Edwards AFB am Muroc Dry Lake, Kalifornien.
Am Ende der Ausschreibung für Vorschläge für das "Projekt
MX-1226", das zusammen von NACA, Air Force, Navy und dem Hersteller
durchgeführt werden sollte, blieben vier etablierte US-Luftfahrtkonzerne
im Rennen: 1. North American (Modell ESO 7487), 2. Douglas (Modell 684),
3. Bell (Modell D-171) und 4. Republic (Modell AP-76). Am 30. September
1955 erhielt North American den Zuschlag zum Design, Entwicklung und
Bau von drei Flugzeugen.
Die zu Programmbeginn zu erwartenden einzigartigen Flugleistungen der
X-15-Maschinen machten auch die Entwicklung eines neuartigen Druckanzuges
für die Piloten erforderlich. Dazu wurde die Firma David Clark
beauftragt, die einen Druckanzug (Kenn-Nr. A/P22S-2) konzipierte, der
später in modifiziertem Design auch in den Flugzeugmustern U-2,
A-12 und SR-71 Verwendung fand.
Antrieb und Startmethode
Als Zulieferer für den Raketenantrieb hatte sich im September 1956
die Firma Reaction Motors Inc. durchgesetzt. Probleme mit der Sicherheit
und Zuverlässigkeit des neuen, drosselbaren Treibwerks XLR99 veranlaßte
die NASA, als Antriebsaggregat vorübergehend auf das Modell LR8
zurückzugreifen, dessen Zuverlässigkeit früher als XLR11
in den Flugzeugen der Bell X-1-Serie, der Douglas D558-2 sowie der Republic
XF-91 bewiesen wurde.
Da allen Projekt-Beteiligten von Anfang an klar war, daß die gesteckten
Ziele (s.o.) nur mittels Luftstarts zu erreichen waren, mußte
noch ein geeignetes Trägerflugzeug gefunden werden. Zur Auswahl
standen Boeing B-50, Boeing B-52, Convair B-36 und Convair B-58. Wegen
ihrer herausragenden Leistungsparameter fiel die Wahl eindeutig auf
die Boeing B-52. Es erfolgten umfangreiche Modifikationen an zwei Maschinen,
die von der Air Force zu diesem Zweck abgestellt wurden: eine Boeing
NB-52A, Air Force-Seriennummer 52-003 und eine NB-52B, Air Force-Seriennummer
52-008.
Um die zukünftigen Piloten der X-15 (und somit ersten Astronauten
der USA) mit den Flugeigenschaften dieser Maschine vertraut zu machen,
wurden mehrer Simulatoren entwickelt und eine Reihe von Trainingsflugzeugen
angeschafft, unter anderem eine Lockheed F-104A, eine stark modifizierte
North American F-100F und eine Convair TF-102A.
Bau und Einsätze der drei Maschinen — Immer höher,
immer schneller
Am 11. Juni 1956 bekam North American die Erlaubnis, mit dem Bau der
drei Flugzeuge zu beginnen. Nach etwas mehr als zwei Jahren, am 15.
Oktober 1958 hatte das erste Flugzeug mit der Air Force-Seriennummer
56-6670 sein Roll-Out aus der Fertigung. Gründlich verpackt für
die ersten ausgiebigen Bodentests erfolgte der Transfer zur Edwards
AFB mit dem Lkw zwei Tage später. Am 10. März 1959 wurde erstmalig
im Flug die Kombination B-52/X-15 getestet. Am 8. Juni 1959 erfolgte
der erste antriebslose Gleitflug nach dem "Abwurf" vom Trägerflugzeug.
Der Pilot A. Scott Crossfield erreichte dabei aus seiner Starthöhe
von 11.450m eine Geschwindigkeit von 840km/h (Mach 0,79). Beim ersten
Flug der X-15 mit eingeschalteten XLR11-Triebwerken am 17. September
1959 erreichte der gleiche Pilot bereits eine Maximalgeschwindigkeit
von 2242km/h (Mach 2,11) bei einer Gipfelhöhe von 15.950m! Am 4.
August 1960 übertraf die 56-6670 mit Joe Walker im Cockpit mit
3534km/h (Mach 3,31) erstmals den alten, am 27. September 1956 von Capt.
Mel Apt mit der Bell X-2 erzielten, inoffiziellen Geschwindigkeitsrekord
von 3370km/h (Mach 3,2). Vier Tage später erhöhte Pilot Robert
White mit der selben Maschine den auch vier Jahre alten, von Iven Kincheloe
ebenfalls mit der Bell X-2 aufgestellten, inoffiziellen Höhenrekord
von 38.465m auf 41.605m. Mit diesen erzielten Leistungen war jedoch
das Leistungspotenzial der
X-15 mit den beiden XLR11-Raketentriebwerken mehr oder weniger ausgereizt.
Der erste Flug mit dem schubstärkeren XLR99-Triebwerk wurde am
7. März 1961 mit der zweiten Maschine 56-6671 mit dem Piloten Robert
White durchgeführt. Er erreichte dabei bereits eine Endgeschwindigkeit
von 4675km/h (Mach 4,43!) und eine Gipfelhöhe von 23.600m.
Am 20. Dezember 1961 führte die dritte Maschine mit der Air Force-Seriennummer
56-6672 mit Neil Armstrong als Pilot ihren Erstflug durch. In den nächsten
11 Monaten wurden mit allen drei Maschinen 27 unterschiedliche Testflüge
ohne größere Zwischenfälle durchgeführt.
Crash der X-15 56-6671 — Wiederaufbau als X-15A-2
Am 9. November 1962 sah sich der Pilot John McKay mit der zweiten Maschine
56-6671 gezwungen, wegen Probleme mit dem XLR99-Triebwerk auf dem Mud
Lake, Nevada, notzulanden. Leider war es in der kurzen, ihm verbliebenen
Zeit nicht möglich, den gesamten Resttreibstoff abzulassen. Deshalb
setzte er die Maschine mit zu hohem Landegwicht auf dem Salzsee auf,
wobei die Landekufen des Hauptfahrwerkes kollabierten, sich die Maschine
überschlug und dabei der Pilot sich schwer verletzte. Die Maschine
wurde stark beschädigt. Glücklicherweise wurde entschieden,
das Wrack nicht zu verschrotten sondern zu reparieren und dabei soweit
zu modifizieren, daß das X-15-Design an die absolute Obergrenze
seines Leistungsvermögens geführt werden konnte. Zumal sollte
die jetzt als X-15A-2 bezeichnete 56-6671 als fliegender Teststand für
eine neues, revolutionäres Antriebskonzept, den "supersonic
combustion ramjet" (kurz "Scramjet" genannt) dienen.
Immer neue Rekorde — (fast) für die Ewigkeit
Am 22. August 1963 stellte Pilot Joe Walker mit der 56-6672 den absoluten
und bis 2004 unerreichten, inoffiziellen Höhenrekord mit 107.960m
(!!) für Tragflügel-Luftfahrzeuge auf.
Am 19. Februar 1964 kehrte die zur X-15A-2 umgebaute 56-6671 zur Edwards
AFB zurück. Der erste Flug mit angebauten, noch leeren Außentanks
erfolgte am 3. November 1965, mit vollen Tanks (Backbord flüssiger
Sauerstoff, Steuerbord Ammoniak) am 1. Juli 1966. Am 21. August 1967
erfolgte der erste Flug der X-15A-2 mit dem weißen Anstrich, der
als Schutzmantel diente und das Raketenflugzeug vor den extremen Temperaturen
im hypersonischen Flug schützen sollte.
Am 3. Oktober 1967 stellte Pilot Pete Knight mit der X-15A-2 den absoluten
und bis heute unerreichten, inoffiziellen Geschwindigkeitsrekord mit
7274km/h (Mach 6,7!!) für Tragflügel-Luftfahrzeuge auf.
Ein Jahr vor Ende des Programms, mit Flug Nr. 191 am 15. November 1967
mit der 56-6672, kam es zum einzigen tödlichen Unfall, als die
Maschine mit Capt. Michael Adams beim Wiedereintritt aus 87.270m Höhe
in die Atmosphäre ins Trudeln kam und bei ungefähr Mach 5
auseinanderbrach.
Insgesamt wurden in 9 Jahren 199 Flüge durchgeführt und man
kann sagen, daß es sich dabei um das erfolg- und wissenschaftlich
ertragreichste Programm überhaupt in der Luftfahrtforschung der
NASA handelt.
High Tech damals — Museumsexponate heute
Ausgestellt ist die erste Maschine, die 56-6670, in der Eingangshalle
des National Air & Space Museums der Smithonian Institution in Washingten,
D.C., gleich neben ähnlich berühmten "Kollegen"
wie der Kommandokapsel von "Apollo 11", der X-1 (46-062),
der Ryan NYP "Spirit of St. Louis" und dem "1903 Wright
Flyer".
Die zweite Maschine , die 56-6671, ist in ihrer letzten Konfiguration
als X-15A-2 im United States Air Force Museum in Dayton, Ohio, ausgestellt.
Die dritte Maschine, die 56-6672, wurde bei ihrem Absturz am 9. November
1967 total zerstört.
Eine Nachbildung der 56-6671 in Originalgröße, die in dem
Film "Projekt X-15" von 1961 verwendet wurde, ist heute in
der X-15A-2-Konfiguration im Pima Air Museum, Arizona, zu sehen.
Ein weiteres Mock-Up als 56-6672 in Originalgröße begrüßt
auf einem Pylon montiert die Besucher vor dem Eingang des Dryden Flight
Research Centers.
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Quellen:
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GOODWIN, R. (2000)
GREENWOOD, J. T. (1989)
GUENTHER, B., MILLER, J., PANOPALIS, T. (1985)
HALLION, R. P., GORN, M. H. (2003)
LANDIS, T., JENKINS, D. J. (2003)
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PEARCY, A. (1993)
STOLIKER, F., HOEY, B., ARMSTRONG, J. (1996)
THOMPSON, M. (1992)
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